Echowand
Lieder von Mikis Theodorakis in der Bearbeitung für Gesang und Klavier von Sebastian Schwab
Nachdichtungen ins Deutsche von Ina Kutulas
© SCHOTT MUSIC GmbH & Co. KG
produziert von Asteris Kutulas
koproduziert von BR Klassik
Theodorakis' Heimkehr
Am 7. August des Jahres 2012 saßen vier Musiker in einer Athener Wohnung. Sie hatten sich erst kurz zuvor zum ersten Mal getroffen. Durchs Fenster sah man die Akropolis. „Das ist wunderschön“, sagte der älteste, aber er meinte nicht den Parthenon.
Ich kannte Theodorakis nur aus dem Plattenschrank meiner Mutter
Mikis Theodorakis hielt eine kalte Zigarre in der Linken, ein Geschenk der kubanischen Regierung, und mit der Havanna hatte er dirigiert, was ihm gerade, in frisch ausgedruckter Partitur, vorgelegt worden war: das erste von dreizehn seiner Lieder, nachkomponiert von dem damals gerade 19-jährigen Münchener Komponisten und Violinisten Sebastian Schwab, gespielt von dem Pianisten Markus Zugehör und gesungen von Johanna Krumin, der jungen Sopranistin aus Berlin. Es war ihre Idee gewesen. Eine unmögliche Idee. Zum 90. Geburtstag von Mikis Theodorakis sollte eine Auswahl seiner Lieder quasi neu geboren werden, nachgedichtet und nachkomponiert von Nachgeborenen, von Musikern, die seine Enkel sein könnten. Und für die all das längst Geschichte ist, wofür Theodorakis gekämpft hat, die Jahre des Krieges, der Partisanenkampf, der Widerstand gegen die Militärjunta, der Kampf für ein freies Griechenland. Für Theodorakis ist das prägende Lebenserfahrung, für die Jüngeren Stoff aus dem Geschichtsbuch, so fern und erkaltet wie die Merowinger.
„Ich kannte Theodorakis nur aus dem Plattenschrank meiner Mutter“, sagt Sebastian Schwab. Ein Menschenleben trennt sie, es konnte nicht funktionieren. Und doch: „Als Mikis dann diesen Satz sagte, nach dem ersten Lied, lösten sich die Bedenken. Aus der Legende wurde ein Zeitgenosse, jemand, mit dem ich über Harmonien, Stimmführung und Anschlüsse reden konnte. Für mich war das wieder ein Beweis, wie Musik jenseits von der Zeit stehen kann.“
Der reine Klang steckt in diesen Händen
Drei Tage lang trafen sich die vier Musiker in Theodorakis’ Wohnung. Für Johanna Krumin war es wie eine Meisterklasse: „Mikis hat uns vorgesungen, dirigiert, abgebrochen, korrigiert. Jedes Detail war ihm wichtig.“ Es sei ein Glücksfall, einem Dirigenten „mit so viel Handgelenk“ zu begegnen, der Legato, Klang und Ausdruck ohne alle Angst vor Kontrollverlust ausdrücken könne: „Der reine Klang steckt in diesen Händen.“ Mikis Theodorakis hat Musik immer als etwas Übergreifendes verstanden, als eine kosmische Melodie, bei der jeder Komponist das Werk des anderen aufnimmt und weiterführt. Insofern hatte er keinerlei Probleme mit diesem Projekt. Johanna Krumin wählte die dreizehn Stücke aus dem Werk von Theodorakis aus. Die Lyrikerin Ina Kutulas hatte sich bereits seit längerem mit einer singbaren Nachdichtung von Theodorakis’ Vertonungen befasst und auch eigene Lied-Texte geschrieben (Abschied und Medeas Entsagung). Sebastian Schwab begann, am Klavier über die Melodien zu improvisieren. „Ich musste die Melodie dem Sprachrhythmus des Deutschen anpassen“, sagt Schwab. „Das fängt schon beim Wort ,musiki’ an, das im Griechischen auf der letzten Silbe betont wird.“
Wo sich die beiden Komponisten nicht einig werden konnten
In den ersten beiden Liedern Wildwaches Land und Nihtoni umgibt Schwab die Melodien mit einem Bewegungsband, das die Seele in melancholisches Schwingen versetzen soll, wie die Erinnerung an glückliche Zeiten.
Bei den nächsten drei Gesängen Einsame Reise, Medeas Entsagung und Vergiftete Zeit schwankt die Musik zwischen Ausbrüchen von Wut und Verzweiflung, sie findet Zuflucht nur in kindlichen Melodien oder grotesken Tänzen, die wie eine Droge die Wirklichkeit aus dem Kopf verdrängen.
Das sechste Lied, Wie geheimnisvoll schön meine Liebste ist (nach dem Lied der Lieder) aus dem Mauthausen-Zyklus, ist für Theodorakis eine Anrufung der toten Geliebten, in der das Pathos all sein Recht hat. Schwab will seine Musik „unerbittlich gleichförmig und hart in ihren Harmonien“. Er greift zum „Passus duriusculus“, einer Figur aus der Affektenlehre des Barock, lässt diesen Schmerzensgang chromatisch durch alle Stimmen schreiten, „wie ein Trauma im Hintergrund der weichen, liebevollen Melodie und verbindet sich doch mit ihr, weil sie stets Haltung bewahrt, ohne Wutausbrüche auskommt und schließlich in Resignation verklingt.“ Barockes Sichfügen statt säkulare Beschwörung – es war nicht zufällig dieses Wie geheimnisvoll schön meine Liebste ist, an dem die beiden Komponisten, der sehr alte und der sehr junge, sich nicht einig wurden und werden konnten.
Fortunas Gewässer bezeichnet Schwab als eines seiner beiden Lieblingsstücke. Es ist nicht kontrapunktisch gesetzt, die Stimme trägt die Begleitung, und die Musik schwebt über der Melodie und webt sich sanft in sie hinein. Helles Licht und Sand am Meer als Heilung für die trauernde Seele. All das gefiel Theodorakis so gut, dass er sagte, sich die alte Begleitung gar nicht mehr vorstellen zu können.
Kompositorisch ist Esmeralda das vielleicht anspruchsvollste Stück, alptraumartig, kleingliedrig gebaut mit vielen Ornamenten, bizarren Vogelrufen, unerwarteten Schlägen. Man weiß nie, was im nächsten Moment passiert, blitzartig kann das Ruder herumgeworfen werden.
In Oft sprichst du zu mir ist die Geliebte schon zu hören. Die Musik wird ruhig und leise, ihre Bewegung ist vorsichtig und gleichförmig. Sie entfernt sich vom Diesseits (Abschied) und tastet sich langsam in die neue Welt vor. Doch das Ich bleibt in dieser Welt haften. Die Musik endet mit tiefen Glockenschlägen.
Einzig Musik und Tanz (Betörendes Lied) bleiben dem einsamen, trauernden Menschen, das Leben erträglich zu machen. Die Musik entschwindet mit einem aufsteigenden Fragezeichen.
Am Ende eines langen Lebens, darf er endlich zu seinen Anfängen zurück
„Vor Beginn des Projekts kannte ich vor allem die klassische Musik von Theodorakis“, sagt Sebastian Schwab. „Von seinem politischen Engagement habe ich nur ansatzweise aus Büchern erfahren. Durch seine Lieder kann ich mich hineinfühlen in das, was er vielleicht damals wollte, wofür er gekämpft hat. Da spüre ich seine introvertierte Seite.“
So ist dieses Projekt auch zu einer Heimkehr geworden. Mikis Theodorakis hat das Jahrhundert als politische Heldengestalt durchqueren müssen, musste den Griechen Stimme und Gestalt verschaffen. Jetzt, am Ende eines langen Lebens, darf er endlich zu seinen Anfängen zurück, zur reinen, von allen Zwecken befreiten Musik.
Alexander Smoltczyk, 2015
Wiedergeboren
Johannas Stimme strahlt sehr stark Persönlichkeit aus, eine ganz eigene Persönlichkeit. Die Gesamtheit der Lieder dieser CD ist von Anfang bis Ende bestimmt vom Dualismus einer melancholischen Grundstimmung auf der einen und einer blendenden Helligkeit auf der anderen Seite. Beides bildet im Kontrastieren eine dynamische Einheit, wie sie die Atmosphäre eines Sommertags in Griechenland ausmacht, wenn die Schatten umso dunkler sind, je intensiver die Sonne strahlt.
Johannas Pathos vermittelt das Moment des Unabsehbaren, von dem unser Leben bestimmt ist. Interessanterweise hat diese deutsche Künstlerin in ihrer wunderbaren Eigenwilligkeit etwas „Griechisches“, denn wieder und wieder wird es dramatisch, aber immer wieder gibt sich Johanna eben auch dem Friedvollen hin, das meinen Liedern im Grunde innewohnt.
Sebastian hat als ein sehr junger, außerordentlicher Musiker hervorragende Arrangements geschaffen, die einen großen Ideenreichtum erkennen lassen.
Seine Demut, meine Melodien nicht zu verändern, berührt mich, denn er hätte alles Mögliche mit ihnen anstellen und ihnen damit ihre Seele nehmen können. Aber es ist meine Musik geblieben. Ich stelle überrascht fest, wie ich sie auf einmal so höre, als sei sie von mir komponiert worden, um von Sebastian in das Gewand der Atonalität gebracht zu werden.
Sebastian hat meine Lieder auf magische Weise wiedergeboren. Wie das Modale und Tonale ins Atonale kippt, das zeugt von einer wunderbaren, lebendigen Vorstellungsgabe.
Johannas Interpretation entspricht dem in idealer Weise.
Ich finde es erstaunlich und es macht mich glücklich, dass ich in meinem 90. Lebensjahr meine Musik als eine so junge erleben kann, die eher risikofreudig ist, als sich auf all ihrem Wissen auszuruhen.
Mikis Theodorakis, 2015